Erdogans Feldzug in Syrien hat Folgen
Überraschend kommt die vergangene Woche begonnene Offensive der türkischen Armee im Norden Syriens nicht. Seit Monaten hat Präsident Erdogan angekündigt, eine Pufferzone an der türkischen Grenze auf syrischem Gebiet etablieren zu wollen. Bislang wird das Terrain von kurdischen Milizen, den Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) kontrolliert. In den Augen der Türkei handelt es sich bei dieser Gruppierung um eine terroristische Vereinigung. Möglich wurde der Einmarsch türkischer Truppen erst durch den Rückzug des wichtigsten Verbündeten der SDF. So hatte US-Präsident Trump jüngst überraschend den Rückzug der verbliebenen Militärangehörigen seines Landes aus dem Norden Syriens bekanntgegeben. Nicht nur die Kurden werteten diese Ankündigung als Dolchstoß, selbst in den USA wurde viel Kritik gegenüber dem Vorgehen Trumps laut.
Für Präsident Erdogan dürften nicht zuletzt innenpolitische Motive eine Rolle für den Feldzug spielen. Nach dem schlechten Abschneiden seiner AKP bei den Kommunalwahlen vom Frühjahr sowie der weiterhin angeschlagenen wirtschaftlichen Situation seines Landes kann das Staatsoberhaupt im Konflikt mit den Kurden Stärke beweisen und auf einen raschen Erfolg hoffen. Dass ihm Letzteres gelingen wird, wird kein Selbstläufer. Zwar ist das türkische Militär den Kurden überlegen, jedoch kann es zu sehr unterschiedlichen Koalitionen kommen, die die Kräfteverhältnisse verändern könnten. Die Lage ist und dürfte unübersichtlich bleiben.
Aus der Perspektive der Lira droht noch ein weitaus größeres Problem. Der Feldzug auf syrischem Staatsgebiet stößt international auf heftige Kritik. Vonseiten der Europäischen Union, Deutschlands, Frankreichs und der Arabischen Liga wurde das militärische Vorgehen scharf kritisiert. US-Präsident Trump ließ zudem wissen, dass sein Land bereit sei, sehr umfangreiche wirtschaftliche Sanktionen zu ergreifen, sollte das türkische Militär etwas unternehmen, das seiner Meinung nach „tabu“ sei. Die türkische Landeswährung begleitet die drohende politische Isolation Ankaras ebenso wie die glaubwürdige Sanktionsandrohung aus dem Weißen Haus mit zunehmender Sorge. Rund 5,5% hat sie gegenüber dem Euro seit Ende September verloren.
Noch bleibt es zwar bei verbaler Kritik. Klar ist jedoch, dass spürbare Sanktionen gerade aus den USA und Spekulationen über einen eingeschränkten Zugang der türkischen Volkswirtschaft zum internationalen Kapitalmarkt das Potenzial haben, eine neue Lira-Krise auszulösen. Dies haben die Erfahrungen des vergangenen Jahres demonstriert. Damals hat vor allem entschlossenes Handeln der türkischen Notenbank unter ihrem Vorsitzenden Cetinkaya zur Beruhigung der Lage beigetragen. Inwieweit der aktuelle Zentralbankchef Uysal hierzu bereit wäre, bleibt fraglich.