EZB ist am Rande ihrer Möglichkeiten angekommen

Die EZB hat heute eigentlich fast alles geliefert, was sich die Investoren gewünscht haben. Der Einlagesatz ist wie erwartet auf minus 0,5% abgesenkt worden. Begleitet wird diese Maßnahme durch einen Freibetrag, für den kein Negativzins anfällt. Zweck dieser Staffelung ist es, die Belastungen der Banken durch den negativen Einlagenzins in Grenzen zu halten. Die Staffelung dürfte insbesondere für deutsche, französische und niederländische Banken eine Erleichterung bringen. Diese halten mit zusammen knapp 70% den größten Teil an den Überschussreserven bei der EZB. Die EZB muss jedoch darauf achten, dass die Geldmarktsätze durch dieses abgestufte System nicht in Bewegung nach oben geraten.

Die Anleihekäufe sollen zum 1. November wiederaufgenommen werden - diesmal jedoch ohne festes Enddatum. Das Programm soll nahezu solange durchgeführt werden, bis sie die Leitzinsen wieder erhöht. Da das sehr lange dauern kann, ist dies ein klares Signal an die Märkte, dass die EZB bis auf weiteres sehr expansiv agieren will.
Das angekündigte Ankaufvolumen hingegen ist geringer als von Vielen erhofft. Die für einzelne Emissionen und Emittenten geltenden Grenzen sind nicht geändert worden. Ein monatliches Volumen von 20 Mrd. Euro eröffnet der EZB aber die Möglichkeit, die Nettokäufe auch mit den bisher geltenden Grenzen für wenigstens zwölf Monate wiederaufzunehmen. Da die EZB davon ausgeht, 2021 erst eine Inflationsrate von 1,5% zu erreichen, ist ein Ende der Anleihekäufe in den nächsten Jahren nicht absehbar.

EZB-Chef Draghi selbst sieht die Grenzen der Geldpolitik erreicht. So betonte er auf der Pressekonferenz, dass es nun an der Zeit sei, dass die Fiskalpolitik eine aktivere Rolle einnimmt, vor allem in denjenigen Ländern, die den Spielraum hierfür hätten. Dieser Appell dürfte sich hauptsächlich an Deutschland richten.
An den Finanzmärkten gab es eine kurze Spanne der Freude, jedoch hat sich dann schnell ein neuer Realismus durchgesetzt und die Gewinne wurden wieder abgegeben. Diese Einschätzung teile ich. Die heute beschlossenen Maßnahmen dürften nicht zu einem Anstieg der Inflation beitragen. Die Wachstumsdynamik sollte hiervon ebenfalls nicht profitieren können. Einzig der Aufruf für mehr fiskalpolitische Impulse könnte sich positiv auf das Wachstum auswirken.

Zusammengenommen ist die EZB aus meiner Sicht weitgehend am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen. Der flehentliche Ruf nach fiskalischer Stimulation ist hierfür ein deutliches Zeichen. All dies geschieht in Zeiten, die eigentlich nicht krisenbehaftet sind. Es ist an der Zeit, die geldpolitische Strategie gründlich zu überdenken. Dabei muss man von dem sehr expansiven Kurs nicht zwingend abweichen. Aber die Frage nach Timing und Dosis sollte dringend auf einer sachlichen Ebenen geklärt werden.


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