EZB überrascht mit Dreisprung
Die EZB hat im Rahmen der gestrigen Sitzung ihre Forward Guidance adjustiert. Hieß es im geldpolitischen Statement bislang, dass die Leitzinsen bis mindestens Mitte des kommenden Jahres auf dem aktuellen Niveau bleiben werden, wurde dieser Ausblick nunmehr um die Möglichkeit eines niedrigen Leitzinsniveaus erweitert. Damit erscheint eine Senkung des Einlagesatzes nur noch eine Frage der Zeit. Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass die Notenbank-Oberen die EZB-Stabsmitarbeiter dazu angewiesen haben, Vorschläge zur Ausgestaltung eines abgestuften Einlagesatzes zu erarbeiten. Draghi zufolge würde eine mögliche Zinssenkung von Abmilderungsmaßnahmen begleitet. Die EZB-Komitees sind zudem damit beauftragt, Möglichkeiten zur Wiederbelebung des Anleiheankaufprogramms (APP) zu untersuchen. In diesem Zusammenhang erscheint es nach den Ausführungen Draghis möglich, dass die EZB auch neue Assetklassen ins Visier nimmt. Auch wenn die Währungshüter mit einer Zinssenkung gezögert haben, ist es Ihnen dennoch gelungen, ein „dovishes“ Signal auszusenden. Die Marktfantasie hinsichtlich weiterer expansiver EZB-Maßnahmen wurde gestützt. Sollte die EZB aber nach der Sommerpause stillhalten, wäre die Enttäuschung an den Finanzmärkten groß.
Kopfzerbrechen bereitet den Währungshütern weiterhin die auf niedrigem Niveau verharrende Teuerung und die zuletzt weiter gesunkenen Inflationserwartungen. Dem Notenbankchef zufolge dauert die Überwälzung höherer Löhne auf die Verbraucherpreise deutlich länger als erwartet. Die an Schwung verlierende europäische Wirtschaft tue ein Übriges dazu, dass der grundlegende Preisdruck schwach ausgeprägt ist. Wenig erbaulich ist in diesem Zusammenhang, dass Draghi die Konjunkturaussichten zusehends skeptisch beurteilt. Es scheint, als ob die Währungshüter den Glauben an ihr bisheriges Bild einer konjunkturellen Belebung im zweiten Halbjahr verloren haben. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Draghi die Notwendigkeit eines weiterhin umfassenden geldpolitischen Stimulus besonders hervorhebt. Im Falle einer unerwartet deutlichen konjunkturellen Eintrübung sieht der Notenbankchef aber auch die europäischen Regierungen mit Fiskalmaßnahmen in der Pflicht.
Da die Notenbank bereits seit geraumer Zeit ihr selbstgestecktes Inflationsziel nicht erreicht hat, gibt es innerhalb des EZB-Rats die Diskussion, dieses zu adjustieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass im geldpolitischen Statement bereits über die Symmetrie des Inflationsziels gesprochen wurde. Diese Ratssitzung könnte daher der Anstoß für eine grundlegende Überarbeitung des Inflationsziels sein und damit richtungsweisend für die zukünftige geldpolitische Ausrichtung.