Treibt Erdogan die Türkei in die nächste Krise?
Präsident Erdogan hat in den letzten Tagen demonstriert, dass er immer wieder für eine negative Überraschung gut ist. Mit der unerwarteten Entlassung des Zentralbankvorsitzenden Cetinkaya und der Ankündigung, die Notenbank vollständig umzubauen, hat das Staatsoberhaupt verdeutlicht, dass er künftig die Geldpolitik als Teil seiner Wirtschaftspolitik ansieht. Und als ob der Frontalangriff auf die Zentralbankunabhängigkeit nicht schon schlimm genug wäre, spitzt sich der diplomatische Konflikt mit den USA um den Kauf eines russischen Luftabwehrsystems weiter zu.
Unabhängigkeit der Notenbank in Gefahr, politische Querelen zwischen Ankara und Washington – die Parallelen zu den Treibern der Lira-Krise des vergangenen Jahres sind offensichtlich. Dennoch bleibt die Reaktion an den Finanzmärkten bislang sehr verhalten. Klare Anzeichen für eine vorhandene oder zu erwartende Krise der Türkei sind nicht auszumachen. Dass sich dieses Bild rasch drehen kann, liegt vor allem an der kurzfristig fälligen Auslandsverschuldung der türkischen Volkswirtschaft. Diese beläuft sich derzeit auf rund 120 Mrd. USD und übersteigt damit die vorhandenen Währungsreserven deutlich. Über einen signifikanten, geschweige denn strukturellen Leistungsbilanzüberschuss verfügt die Türkei zudem nicht. Folglich ist das Land auf einen anhaltenden, stetigen Zustrom an ausländischem Kapital angewiesen. Eine dauerhafte Abkehr internationaler Investoren birgt demnach die Gefahr, eine Zahlungsbilanzkrise auszulösen, mit entsprechend negativen Folgen für die Währung und die Wirtschaft des Landes. Dabei würden bereits eine deutliche Abwertung der Lira sowie ein erneuter Anstieg der Inflationsraten die ohnehin angeschlagene Konjunktur des Landes (DZ BANK Prognose aktuell: -1,0% für 2019 und +0,5% in 2020) spürbar verschlechtern und eine tiefe Rezession verursachen.
Eine Krise im Ausmaß des vergangenen Jahres kann sich angesichts der momentanen Rahmenbedingungen jederzeit wiederholen – mit oder ohne handfesten Auslöser. Insbesondere das Geschehen um die Zentralbankunabhängigkeit und den diplomatischen Konflikt mit den USA gilt es hierbei im Auge zu behalten. Ausgemachte Sache ist eine neuerliche Krise indes nicht. Schließlich hat Präsident Erdogan in den vergangenen Jahren auf sehr hohen politischen und finanzmarktseitigen Druck früher oder später mit Zugeständnisse bei entscheidenden Stellschrauben reagiert.