Warum brechen in einer Rezession die Unternehmensgewinne und Aktienkurse so stark ein?

Ein Zyklus ist gemäß einer Definition der Universität Oxford definiert als „eine Gruppe von Ereignissen, die in einer bestimmten Reihenfolge hintereinander stattfinden und oft wiederholt werden“. In den Naturwissenschaften folgen Zyklen bestimmten Mustern. Zeitpunkt, Amplitude und der Schwankungspfad wiederholen sich. Volkswirtschaften, Unternehmen, Märkte und das Verhalten der Anleger weisen diese festen Regelmäßigkeiten nicht auf. Die Bewegungen sind komplexer und nicht vorhersehbar. Sie greifen ineinander: So gibt es neben dem Konjunkturzyklus noch den Gewinnzyklus der Unternehmen, den Zyklus im Immobilienmarkt, die generelle Einstellung der Marktteilnehmer gegenüber Risiko und andere Aspekte. Diese liefern die fundamentalen und stimmungsgetriebenen Rahmendaten für Investitionen am Kapitalmarkt.

In Rezessionen werden fallende Unternehmensgewinne als Grund für die Schwäche von Konjunktur und Aktienkursen festgemacht. Aber warum fallen in einer Rezession die Gewinne der börsennotierten Unternehmen überproportional stark, wenn das volkswirtschaftliche Wachstum nur für eine vorübergehende Phase um einige Prozentpunkte von seinem langfristigen Trendwachstum abweicht?

Die Antwort liegt auf der Unternehmensseite an der Höhe des Hebels. Dabei ist zu unterscheiden zwischen operativem und finanziellem Hebel. Der operative Hebel beschreibt, wie stark das Betriebsergebnis steigt, wenn die Unternehmensumsätze steigen (und umgekehrt). Unternehmen mit hohen Fixkosten und einem geringen Anteil variabler Kosten haben einen hohen operativen Hebel (Beispiele: Autohersteller, Hotels, Fluggesellschaften, Kreuzfahrtschiffe, Autovermieter). Folge: Diese Unternehmen melden in einer Rezession deutlich stärkere Gewinneinbrüche als krisensichere Nahrungsmittelhersteller oder andere „defensive“ Titel.

Hinzu kommt bei Unternehmen der finanzielle Hebeleffekt. Dieser resultiert aus der Aufnahme von Fremdkapital und dem Eingehen von festen Verpflichtungen für Zins- und Tilgungszahlungen. Die Eigentümer eines erfolgreichen Unternehmens, das Mittel benötigt, wollen ihr Eigentum an dem Unternehmen vielleicht nicht durch die Ausgabe von zusätzlichem Eigenkapital verwässern. Stattdessen nehmen sie Kredite auf. Ein hoher finanzieller Hebel ist vorteilhaft, wenn die Gesamtkapitalrendite des Konzerns die Nettozinsen nach Steuern übersteigt. Im Gegensatz zum operativen Hebel eines Unternehmens ist der finanzielle Hebel wesentlich besser steuerbar. Insbesondere US-Unternehmen wurde in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, die finanzielle Hebelwirkung hochzufahren, indem auf Kredit Dividenden an Aktionäre gezahlt und Aktien zurückgekauft wurden.
Tatsächlich ist die Verschuldung der US-Unternehmen (ohne Finanztitel) seit 2010 um zwei Drittel von 6 auf 10 Bio. US-Dollar gestiegen. In Relation zum ebenfalls gestiegenen Bruttoinlandsprodukt ist die Verschuldungsquote auf ein Allzeithoch von 47% gewachsen. Dies erscheint weder im historischen Vergleich noch in Relation zu anderen Industrieländern bedrohlich hoch. Den letzten drei US-Rezessionen sind 1990, 1999 und 2007 ähnlich hohe Schuldenstände vorausgegangen. Fed-Präsident Powell bestätigte auf einer Rede Anfang Mai unsere Einschätzung, wenngleich die Fed zusammen mit anderen Aufsichtsbehörden zukünftig stärker die „Leveraged Loans“, also besicherte Kredite spekulativer Qualität, unter die Lupe nehmen wird. Diese standen zuletzt stärker in der Diskussion.

Bleiben die Zinssätze außergewöhnlich niedrig, so sollte sich auch zukünftig die Belastung für die Unternehmen durch Zinszahlungen und Schuldendienst in Grenzen halten. Die heutigen Schuldenstände würden nur in Einzelfällen Anlass zur Sorge geben. Wir sind der Meinung, dass die Mehrheit der US- und europäischen Unternehmen heute eine weitgehend stabile Tragfähigkeit der Schulden aufweist. Auch gilt, dass viele der heutigen Wachstumstreiber in den USA, unter anderem die großen Technologiekonzerne wie Apple oder Facebook, ihre Investitionen weitgehend selbst finanzieren können und kein Fremdkapital benötigen. Sie haben damit ein Sicherheitspolster im Falle einer nachteiligen Veränderung von Gewinnen oder Zinsen. Generell ist wegen der niedrigen Zinssätze auch der Trend in Richtung länger laufender Kredite zu beobachten. Diese Verschiebung weg von kurzfristigen Finanzierungen macht die Unternehmen weniger anfällig für schlechtere Refinanzierungskonditionen.
Bei den DAX-Unternehmen bestätigen verschiedene Kennzahlen ebenfalls eine solide Finanzierungsstruktur. So überstieg 2018 der Gewinn vor Steuern und Zinsen (ohne Finanzunternehmen) die geleisteten Zinszahlungen um den Faktor zehn. Auch die Relation der finanziellen Schulden zum bilanzierten Eigenkapital ist solide und liegt mit 44% auf dem niedrigsten Niveau im Betrachtungszeitraum seit 2007.

Obwohl die Bilanzen nach wie vor gesund sind, könnten finanzielle Probleme recht schnell auftreten, wenn der bereits beschriebene operative Hebel zu stark negativ wirkt. Oft reichen vermeintlich kleine Impulse aus, um eine solche Bremsbewegung einzuleiten. Dies kann in einigen Branchen bereits der Fall sein, wenn sich das Umsatzwachstum verlangsamt. In jüngerer Erinnerung geblieben sind dabei die Jahre 2014/15, als der Rohölpreis um drei Viertel abstürzte und zu Zahlungsausfällen bei US-Anleihen im Energiesektor und zu Unternehmensinsolvenzen führte. Ein neuer Bremsimpuls könnte sich durch die anhaltenden Belastungen der US-Zollpolitik ergeben. Solange die Zinsen allerdings so niedrig bleiben, ist ein Überlaufeffekt solch einzelner Branchenentwicklungen auf den gesamten Aktienmarkt nicht zu erwarten.

 


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