Unternehmen nahe am Nullpunkt

Wenn Investoren das Vertrauen verlieren und eigentlich nicht mehr einschätzen können, was die Bilanz eines Unternehmens eigentlich noch wert ist, werden Unternehmen oder manchmal auch ganze Sektoren mit einem deutlichen Abschlag auf das Kurs-/Buchwert-Verhältnis (KBV) bewertet. Das bedeutet, dass sie an der Börse weniger als das bilanzielle Eigenkapital wert sind. Die Deutsche Bank notiert aktuell beispielsweise mit einem sehr geringen Kurs-/Buchwert-Verhältnis von 0,2. Dabei ist sie jedoch nur ein extrem niedriger Wert im gesamten europäischen Bankensektor, der insgesamt ein sehr niedriges KBV ausweist.

Dies ist natürlich kein Einzelfall, und es bedeutet auch nicht zwangsläufig das Ende des Unternehmens. In der Vergangenheit hatten fast 30% der deutschen Unternehmen bereits einen massiven Einbruch des KBV auf <= 0,4 und fast 10% auf <= 0,2 durchlebt, aber auch überlebt. Besonders in Zeiten starker Einbrüche an den Aktienmärkten, wie nach dem Platzen der Neuer-Markt-Blase und während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, konnte man diese Entwicklung beobachten. Wobei diese beiden Phasen jedoch auch systemische Krisen waren und nicht auf einzelne Fehlentwicklungen in Sektoren oder Unternehmen zurückzuführen waren.

Für einen erfolgreichen Turnaround waren häufig Restrukturierungen in Verbindung mit Abschreibungen sowie Kapitalerhöhungen notwendig. Besonders Gesellschaften mit hohen immateriellen Vermögensgegenständen mussten hohe Abschreibungen vornehmen. Zudem war es hilfreich, wenn wirtschaftliche Einbrüche und systemische Herausforderungen zeitnah gelöst wurden. Zum anderen war bei einigen Technologieunternehmen zu beobachten, dass sich der Erfolg der Technologie zunehmend einstellte und dadurch größere Kapitalerhöhungen und Abschreibungen vermieden werden konnten.

Die Ursache des geringen KBV europäischer Banken ist weder durch einen abrupten Kursverfall an den Märkten bedingt, noch durch einen schnellen Erfolg einer Technologie lösbar. Der Sektor insgesamt leidet unter anderem unter dem Niedrigzinsumfeld, dem intensiven Wettbewerb und hohen Kosten durch regulatorischen Druck. Es ist nicht zu erwarten, dass sich daran kurz- und mittelfristig etwas ändert. Zusätzlich gibt es unterschiedliche unternehmensspezifische Gründe für die niedrigen KBV der europäischen Banken. Die Unternehmen reagieren mit Kostensenkungen, der Modernisierung der IT, der Gründung von so genannten Bad Banks für die Abwicklung von bestimmten unprofitablen Aktivitäten und dem Versuch, Marktanteile zu gewinnen. Letzteres kann auch durch Fusionen oder Übernahmen erreicht werden, für die es aber hohe Hürden gibt, wie der jüngst gescheiterte Fusionsanlauf von Deutscher Bank und Commerzbank gezeigt hat. Insgesamt braucht der Sektor ein umfassendes, langfristig wirkendes Fitnessprogramm. Ansonsten wird es bei einer Bewertung mit spürbarem Abschlag auf den Buchwert bleiben.


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