Der wachsende Populismus – schleichendes Gift für die EWU
Es ist noch nicht lange her, da war die Europawahl kein nennenswertes Ereignis, und Brüssel war für viele Politiker (freiwillig oder nicht) eine bequeme Endstation ihrer Karriere. Dies hat sich deutlich gewandelt. Das Europa-Parlament und die Europäische Kommission haben sich zu wichtigen Elementen der europäischen, aber auch nationalen Politik entwickelt. Viele politische Impulse kommen zwischenzeitlich aus Brüssel, und die Weiterentwicklung der EU wird hier in Zusammenarbeit mit den Regierungschefs orchestriert. Umso wichtiger wird sein, die demokratische Legitimation zu stärken und den Einfluss von nationalen Interessen in geordneten Bahnen zu halten. Vor diesem Hintergrund wäre ein Initiativrecht des EU-Parlaments eine wichtige Weiterentwicklung. Jedoch wird dies wohl noch einige Zeit dauern.
Europa und die europäische Politik sind wichtig als Ganzes und für jedes einzelne Mitglied der EWU. Aber Populismus und Europafeindlichkeit finden sich natürlich auch hier. So befinden sich auch im europäischen Parlament seit einigen Jahren populistische Parteien im Aufwind, und im neuen Parlament dürften die populistische Kräfte so stark wie nie zuvor abschneiden, sofern die politischen Turbulenzen in Österreich nicht die Wahlen in der ganzen EU nachhaltig beeinflussen. Der Skandal in Österreich zeigt einmal mehr, dass es immer wieder Politiker geben wird, welche die notwendige Demut und moralische Stärke vermissen lassen. Leider hat man den Eindruck, dass ihre Zahl eher zunimmt.
Der wachsende Zuspruch ist alleine aber kein Grund für Aufregung mehr. Wie im Alltag hat sich auch am Kapitalmarkt ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt. Waren Anleger vor zwei Jahren noch in Sorge, dass Marine Le Pen in Frankreich die Präsidentschaftswahlen gewinnen könnte, sorgten die jüngsten Wahlerfolge der Populisten kaum noch für größere Marktbewegungen. Die relative Gelassenheit dürfte darauf zurückgehen, dass Populisten aus Le Pens Niederlage gelernt haben und seltener extreme Positionen propagieren - wie den Austritt ihres Landes aus der Eurozone. Natürlich lernt man auch im populistischen Lager dazu, aber das bedeutet nicht, dass man die ursprünglichen Ideen nicht mehr weiterverfolgt. Im politischen Prozess ist das kein unübliches Verhalten.
Die relative Ruhe und Gelassenheit könnten sich jedoch als trügerisch herausstellen. In den Peripherie-Staaten wächst der politische Widerstand gegen die EU-Fiskalregeln. Populistische Kräfte, rechts wie links, fordern eine Abkehr von der Sparpolitik. Italien, hier vor allem die Lega mit ihrem Chef Salvini, sieht sich an der Spitze dieser Bewegung. Die sehr guten Umfrageergebnisse haben Salvini angespornt, Forderungen nach einem höheren Haushaltsdefizit in den Mittelpunkt des Europawahlkampfes zu stellen. Aber auch in Griechenland und Spanien wächst die Opposition gegen die EU-Regeln. Daneben setzt man bei den populistischen Parteien grenzüberschreitend natürlich stark auf das Thema Flüchtlinge und Überfremdung und geht hier sehr undifferenziert vor. Dabei ist klar, dass Europa Zuwanderung braucht, um seinen Wohlstand auch in Zukunft zu sichern. Der Wahlerfolg der Sozialisten in Spanien zeugt außerdem davon, dass zunehmend auch etablierte Parteien darauf setzen, durch Annäherung an populistische Positionen politisch wieder erfolgreicher zu werden. Dies birgt natürlich die Gefahr, dass populistische Ideen immer mehr gesellschaftsfähig werden.
Wenn sich diese Ideen durchsetzen, kann sich dies am Kapitalmarkt schnell negativ auswirken. Wenn immer mehr Länder der bisherigen Reformpolitik den Rücken kehren, birgt das erhebliche Gefahren für die Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die wirtschaftliche Divergenz nimmt zu, das Vertrauen in die Schuldentragfähigkeit der Peripherie-Staaten ab. Drohen Herabstufungen in den Non-Investmentgrade-Bereich (wie im Fall Italiens auf Sicht der kommenden Jahre zu befürchten), dürften Investoren diesen Emittenten den Rücken zuwenden. Stark steigende Risikoprämien und womöglich sogar Probleme bei der Refinanzierung wären die Folge. Die Kernstaaten befänden sich spätestens dann in einem Dilemma. Einerseits üben populistische Kräfte in ihren Ländern Druck aus, der E(W)U gegenüber keine Zugeständnisse zu machen und vor allem keine zusätzlichen finanziellen Risiken einzugehen. Andererseits könnte aber die Zukunft des gemeinsamen Währungsraums ausgerechnet von der Kompromissfähigkeit zwischen Kern und Peripherie abhängen.