Europäische Politik gewinnt an Bedeutung

Es ist noch nicht lange her, da war die Europawahl kein nennenswertes Ereignis, und Brüssel war für viele Politiker (freiwillig oder nicht) eine bequeme Endstation ihrer Karriere. Dies hat sich deutlich gewandelt. Das Europa-Parlament und die Europäische Kommission haben sich zu wichtigen Elementen der europäischen, aber auch nationalen Politik entwickelt. Viele politische Impulse kommen zwischenzeitlich aus Brüssel, und die Weiterentwicklung der EU wird hier in Zusammenarbeit mit den Regierungschefs orchestriert. Umso wichtiger wird sein, die demokratische Legitimation zu stärken und den Einfluss von nationalen Interessen in geordneten Bahnen zu halten. Vor diesem Hintergrund wäre ein Initiativrecht des EU-Parlaments eine wichtige Weiterentwicklung. Jedoch wird dies wohl noch einige Zeit dauern.

Wir erleben in den letzten Wahlen eine zunehmende Spreizung der politischen Meinung. Parteien an den Rändern des politischen Spektrums werden gestärkt, zulasten des politischen Mainstreams. Ein gemeinsamer Faktor dürfte die steigende Zukunftsangst der Menschen sein. Über die hohe Veränderungsgeschwindigkeit in den Gesellschaften und im Beruf, verbunden mit der Niedrigzinspolitik der EZB und der Diskussion über Migration und Demographie, sorgen sich viele Menschen und machen einfache Slogans salonfähig. Darin zeigt sich aber auch, dass die großen Parteien in Europa diese Sorgen nicht effektiv genug adressieren.

Dies dürfte sich auch in der kommenden Europawahl widerspiegeln. Zwischen dem 23. und 26. Mai werden die EU-Bürger über die neue Zusammensetzung des Europäischen Parlaments entscheiden. Die politische Stimmung deutet auf einen Rechtsruck hin. Konservativ europakritische sowie rechtspopulistische Parteien könnten erstmals einen Stimmenanteil von etwa 25% erreichen. Die Sorge über Zuwanderung und Terrorismus, aber auch die in einigen Teilen der EU große Skepsis gegenüber den europäischen Institutionen verleihen den Populisten Rückenwind. Die etablierten Parteien werden voraussichtlich historisch schlechte Ergebnisse erzielen. Christ- und Sozialdemokraten könnten daher auf einen dritten Partner, die Liberalen, angewiesen sein. Trotz Verlusten werden die etablierten Parteien aber auch zukünftig die Entscheidungen des Parlaments und die Wahl des EU-Kommissionspräsidenten bestimmen. Anders sieht es bei den EU-Kommissaren aus, die von den nationalen Regierungen vorgeschlagen werden.

An den Finanzmärkten dürfte aber das entscheidende Signal sein: Weder im Europäischen Parlament noch in der EU-Kommission ist mit grundsätzlichen Änderungen zu rechnen. Da sich eine politisch-institutionelle Kontinuität abzeichnet, sollte das Erstarken der Populisten keine höhere Risikoprämie rechtfertigen. Allerdings drohen alte Konflikte wie der Haushaltsstreit zwischen Italien und der EU-Kommission wiederaufzuflammen.

Der erwartete Zugewinn der Europaskeptiker wird die etablierten Parteien und die nationalen Regierungen unter Druck setzen. Kompromisse zwischen Deutschland und Frankreich in der Frage "Wo soll Europa hinsteuern?" dürften damit noch schwieriger werden. Paris spricht sich für ein solidarischeres Europa aus, sodass Berlin bei der Kompromisssuche nicht umhinkommen wird, seine bislang strikt ablehnende Haltung gegen den Auf- und Ausbau von EU-Transfersystemen zumindest aufzuweichen. Anders sieht es allerdings bei Italien aus, das den Reformpfad verlassen hat und dessen Verschuldung weiter steigt. Eine weitere politische als auch fiskalische Integration dürften EU-Skeptikern und Populisten jedoch durchaus in die Karten spielen und den Widerstand gegen die EU-Institutionen sowie die Politik der etablierten Parteien und nationalen Regierungen befeuern.


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