Brexit-Abkommen: nein, nein – und nochmals nein?

Am Mittwochabend haben sich die Abgeordneten des britischen Unterhauses mehrheitlich dafür ausgesprochen, einen EU-Austritt ohne Abkommen grundsätzlich auszuschließen. Zwei Erkenntnisse lassen sich aus dem Abstimmungsergebnis ziehen: Zum einen hat Premierministerin May im Parlament eine weitere Niederlage erlitten, wollte sie den No-Deal-Brexit doch lediglich für Ende März und nicht generell ausschließen. Ihr Versuch, eine Ablehnung dieses Änderungsantrags mithilfe des Fraktionszwangs unter den Konservativen durchzusetzen, schlug offensichtlich fehl. Selbst einige Vertreter aus den Reihen der Regierung votierten gegen Mays Willen oder enthielten sich zumindest. Zum anderen nutzte May ihre Redezeit im Nachgang zur Abstimmung, um völlig zu recht darauf hinzuweisen, dass ohne neue Weichenstellungen das Land auch weiterhin Ende des Monats ohne Abkommen aus der Staatengemeinschaft ausscheiden wird. Rechtlich verbindlich ist das Abstimmungsergebnis schließlich nicht. Außerdem – und das wird in London gerne vergessen – hat die Europäische Union auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Sehr viel ist aktuell vom Machtverlust der Premierministerin zu lesen. Unter normalen Umständen wären die Abstimmungsniederlagen der letzten Tage ein mehr als guter Grund für einen Regierungschef, den Hut zu nehmen. Es sind aber nun einmal keine normalen Umstände. Und so gibt sich Theresa May weiterhin kämpferisch. Sie sieht in der jüngsten Abstimmung eine Chance, ihren mit der EU ausgehandelten Deal doch noch durch das Parlament zu bekommen.

Nach dem Willen der Premierministerin werden den Abgeordneten im Rahmen der als nächstes anstehenden Abstimmung über eine Verschiebung des EU-Austritts zwei Wege aufgezeigt, wie es weitergehen könnte: Entweder nehmen die Volksvertreter ihren mit Brüssel ausgehandelten Deal bis nächsten Mittwoch doch noch an, was eine kurze technische Brexit-Verzögerung um einige Wochen oder Monate nach sich ziehen würde. Oder aber Theresa May würde die EU um eine deutlich längere Verzögerung bitten. In diesem Zusammenhang ist von bis zu zwei Jahren und einer dadurch notwendigen Teilnahme an der Europawahl im Mai die Rede.

Die auf dem Tisch liegende Option einer jahrelangen Verschiebung des EU-Austritts kann als Drohung gegenüber den Brexit-Befürwortern interpretiert werden. Schließlich sollte damit aus deren Sicht das Risiko zunehmen, dass der Austritt gänzlich abgesagt wird - sei es aufgrund von Neuwahlen oder eines zweiten Referendums. Hinter den Kulissen laufen wohl bereits Gespräche mit Brexit-Hardlinern und Vertretern der nordirischen DUP, auf deren Stimmen May im Parlament für eine Mehrheit angewiesen ist. Im Zentrum stehen hier erneut Generalstaatsanwalt Cox und seine Einschätzung zu den möglichen Konsequenzen der Backstop-Klausel zur Vermeidung einer innerhalb Irlands verlaufenden Grenze im Austrittsvertrag. Eine Forderung der Brexit-Befürworter für ihre Zustimmung zum Deal ist Spekulationen zufolge der Rücktritt Mays vom Posten der Premierministerin. Dennoch wurden aus Abgeordnetenkreisen bereits Stimmen laut, wonach man sich von May nicht erpressen lasse.

Festhalten lässt sich an dieser Stelle eigentlich nur, dass eine Mehrheit im Unterhaus für eine Verschiebung des EU-Austritts ist, um nicht Ende des Monats einen harten Brexit ohne Abkommen erleiden zu müssen. Insofern wird Theresa May auf dem EU-Gipfel ab Donnerstag kommender Woche aller Voraussicht nach um einen Aufschub bitten. Ob ihr Plan bis dahin aufgeht und sie im dritten Anlauf doch noch eine Mehrheit für ihren Deal erhält, ist hingegen äußerst fraglich. Die EU wird sich zwar ihrerseits sehr genau anhören, wofür die britische Seite die zusätzliche Zeit einsetzen möchte. Im Endeffekt wird man sich in Brüssel aber kaum den schwarzen Peter für die möglichen Konsequenzen eines No-Deal-Brexits zuschieben lassen und einer Verschiebung zustimmen.

Wer möchte, kann der neuerlichen Wendung im Brexit-Chaos auch etwas Gutes abgewinnen, dürften Beobachter in der nächsten Woche doch die Chance erhalten, sich abermals mit den Bräuchen und Sitten im britischen Unterhaus zu beschäftigen. Dann könnte sich zeigen, ob Parlamentssprecher John Bercow zum dritten Mal die aus Sicht von Theresa May schwierige Botschaft zu verkünden hat: „The Noes have it, the Noes have it“.


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