Die zwei Seelen der EZB
In den zurückliegenden Wochen haben sich Spekulationen belebt, wonach die EZB eine neue Liquiditätsspritze für europäische Banken auf den Weg bringen könnte. Neue Langfristtender würden es den Währungshütern grundsätzlich ermöglichen, sicherzustellen, dass die Finanzierungsbedingungen auch nach Fälligkeit der derzeit ausstehenden TLTRO-II-Operationen weiterhin günstig bleiben. Bemerkenswert ist, dass über diese Thematik bereits heute debattiert wird. Der erste TLTRO-II-Tender wird allerdings erst im Juni 2020 fällig.
Die zeitliche Brisanz resultiert aus bankregulatorischen Anforderungen. Sinkt die Restlaufzeit von Fundingmitteln unter ein Jahr, können diese für gewisse Kennzahlen (Net Stable Funding Ratio / Liquidity Coverage Ratio) nicht mehr herangezogen werden. Insbesondere Banken in der europäischen Peripherie - insbesondere italienische und spanische Banken - könnten vor diesem Hintergrund gezwungen sein, ihre Bilanzen zu reduzieren, um die erforderlichen Quoten einzuhalten. Eine eingeschränkte und teurere Kreditvergabe wäre eine mögliche unerwünschte Folge hiervon. Zudem wäre es auch vorstellbar, dass die Banken ihren Staatsanleihebestand abbauen. Höhere Risikoaufschläge wären eine mögliche Folge. Insbesondere italienische Geldinstitute haben in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang Staatsanleihen ihres eigenen Landes gekauft, um Carry-Trades aufzusetzen. Um höheren Risikoaufschlägen entgegenzuwirken, halten wir eine neue EZB-Liquiditätsspritze für durchaus wahrscheinlich. Die Währungshüter dürften aber zugleich den Eindruck vermeiden wollen, dass man mit neuen Langfristtendern lediglich den Banken und Staatsanleihemärkten in der europäischen Peripherie zur Hilfe eilt. Die Notenbank-Oberen dürften in ihrer Kommunikation daher vor allem den Aspekt einer sich abschwächenden Kreditvergabe in Südeuropa in den Vordergrund rücken. Dies führt allerdings zugleich den Interessenkonflikt vor Augen, in dem die EZB aufgrund ihrer Doppelrolle als Bankenaufseherin und Währungshüterin steckt.
Wir halten es für recht wahrscheinlich, dass die Währungshüter bereits zur nächsten Ratssitzung am 7. März eine neue Liquiditätsspritze beschließen. Eine zu erwartende Abwärtsrevision der Konjunktur- und Inflationsprojektionen dürfte es ihnen erleichtern, die Notwendigkeit weiterer Liquiditätsmaßnahmen zu begründen. Der mit der Kreditvergabe verknüpfte Zinsbonus könnte allerdings gegenüber den aktuellen TLTRO-II-Konditionen etwas weniger großzügig ausfallen, um weiterhin die Rückkehr zur geldpolitischen Normalität zu signalisieren, aber auch den Doppelrollenkonflikt zu lösen. Spannend bleibt aber die Frage, inwieweit sich durch neue TLTROs die Bestrebungen der EZB, zur geldpolitischen Normalität zurückzukehren, lediglich verzögern, oder ob diese schon gänzlich gescheitert sind.