High-Noon in Westminster

Es ist spannender als jeder Krimi. Erst die zähen und langwierigen Verhandlungen mit Brüssel, jetzt der Showdown im britischen Parlament. Der Brexit entpuppt sich einmal mehr als politisches Drama erster Klasse, welches am 11. Dezember seinen vorläufigen Höhepunkt erreichen wird: Dann wird das britische Unterhaus über den EU-Austrittsvertrag abstimmen. Gut sieht die Lage nicht aus. Das Parlament stemmt sich mit Händen und Füßen gegen den Vertrag – wenngleich aus sehr unterschiedlichen Beweggründen. Die Brexit-Hardliner befürchten, dass der Backstop ein Hintertürchen ist, durch das Großbritannien auf alle Ewigkeit in einer Zollunion mit der EU gefangen bleiben wird. Die Befürworter eines Soft-Brexits wünschen sich hingegen ein zweites Referendum – auch um den EU-Austritt möglicherweise noch abwenden zu können. Theresa May versucht derweil, die Bevölkerung für ihren Deal zu gewinnen, um über diesen Weg Druck auf das Parlament auszuüben. Wie geht es also nun weiter?

Die Debatten über die "Motion" beginnen in der kommenden Woche. Jeder Parlamentarier hat das Recht, Änderungsanträge zu stellen. Findet sich eine Mehrheit für einen oder mehrere dieser Anträge, wird die Motion dementsprechend angepasst, bevor die finale Abstimmung am 11. Dezember stattfindet. Sollte das Parlament die Motion ablehnen oder Änderungen durchsetzen, die eine Ratifizierung des Vertrags unmöglich machen würden, hat die Regierung 21 Tage Zeit, bevor sie dem Unterhaus spätestens am 7. Januar darlegen muss, wie sie weiter verfahren möchte. Dabei hat sie die Option, das Parlament erneut über die Motion abstimmen zu lassen oder direkt die Weichen für einen „No-Deal“-Brexit zu stellen. Ersteres ist unserer Ansicht nach wahrscheinlich und Mays Erfolgschancen dürften im zweiten Durchgang tatsächlich besser sein. Denn: Könnten die Parlamentarier die erste Abstimmung noch als Gelegenheit sehen, ihrem Unmut Luft zu machen, würde es in einer zweiten Abstimmung um alles gehen. Gelingt es nicht, dem Vertrag dann zuzustimmen, würde die Wahrscheinlichkeit eines "No-Deal"-Brexit deutlich steigen und den wollen weder die EU noch das britische Parlament riskieren.

Die politische Zukunft Mays hängt derweil weiterhin in der Schwebe. Sollte sie die Abstimmung am 11. Dezember tatsächlich verlieren, würden Spekulationen über eine Rebellion innerhalb der Konservativen Partei oder gar eine Neuwahl zweifelsohne eskalieren. Sollte May einem internen Putsch zum Opfer fallen, wäre damit allerdings niemandem geholfen: Die Konservative Partei würde sich unweigerlich auf einen moderaten Brexit-Befürworter (Theresa May 2.0) einigen, Brüssel würde den personellen Wechsel kaum als Anlass sehen, neue Zugeständnisse zu machen und auch die parlamentarische Arithmetik bliebe unverändert. Was die Option einer Neuwahl betrifft, wäre hierfür eine 2/3-Mehrheit im Parlament notwendig. Wir bezweifeln, dass sich tatsächlich 434 Abgeordnete finden werden, die derzeit den Mut haben, sich dem Volk zu stellen. Auch über ein zweites Referendum wird immer wieder spekuliert. Hierfür müsste die EU den Briten jedoch einen zeitlichen Aufschub zugestehen, was nur dann möglich wäre, wenn sich die Regierung der "Remain"-Kampagne verpflichten würde. Dies wäre mit der amtierenden Tory-Regierung allerdings kaum machbar.
Fazit: Geschieht nicht noch ein Wunder, dürfte May die Abstimmung am 11. Dezember verlieren. Das Ende der Fahnenstange ist damit allerdings nicht erreicht, und das Brexit-Drama könnte sich bis in den Februar hineinziehen. Wir gehen jedoch weiterhin davon aus, dass sowohl die EU als auch das britische Parlament einen ungeordneten „No-Deal“-Brexit unbedingt vermeiden wollen und eine Einigung erreicht werden kann.


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