Bleibt in den großen Industrienationen die Entwicklung der Industrie hinter den Dienstleistungen zurück?

Nach Finanz- und Euroschuldenkrise hat sich nicht nur die Konjunktur in den westlichen Industriestaaten spürbar erholt. Auch die Arbeitsmärkte haben sich merklich entspannt. In den meisten großen Industrienationen fallen die Arbeitslosenquoten mittlerweile so niedrig aus wie schon seit vielen Jahren nicht. In Deutschland ist die Arbeitslosenquote sogar so niedrig wie noch nie. Auch wenn der Rückgang der Arbeitslosigkeit in anderen Ländern weniger stark ausgefallen ist wie in Deutschland, zeigt sich in den Vereinigten Staaten und in Japan ein ähnlicher Trend. Die Arbeitslosenquote unterschreitet auch in diesen großen Industrienationen inzwischen ihr Vorkrisenniveau, in Japan sogar deutlich.
Während die Arbeitsmärkte die Finanzkrise mittlerweile hinter sich gelassen haben, ist das bei anderen Indikatoren zum Teil immer noch nicht der Fall: So sind etwa die Kapazitäten der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe sowohl in Deutschland, als auch in den Vereinigten Staaten und in Japan noch nicht wieder so hoch ausgelastet, wie sie dies vor der Finanzmarktkrise zumindest zeitweise waren. Während in den 70er und 80er Jahren die Nutzung der Kapazitäten in den USA noch ähnlich zur tendenziell stabilen Entwicklung in Deutschland verlief, blieb die Kapazitätsauslastung danach merklich hinter dem Verlauf in Deutschland zurück. Zwar hat sich auch in den Vereinigten Staaten seit der Finanzkrise die Auslastung der verfügbaren Kapazitäten wieder spürbar erholt und diese Erholung setzt sich derzeit immer noch fort. Aber die aktuelle Auslastung bleibt dennoch deutlich gegenüber dem Niveau der 90er Jahre zurück. Langfristig ist hier ein klarer Abwärtstrend erkennbar. Noch deutlicher gilt dies für Japan.

Außerdem konnte von diesen drei Ländern nur in Deutschland die Nettoproduktion der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe stärker zulegen als das Bruttoinlandsprodukt (BIP). In Japan und den Vereinigten Staaten blieb das Wachstumstempo des verarbeitenden Gewerbes dagegen hinter der Gesamtwirtschaft zurück. Allerdings lag dies in Japan an der vergleichsweise schwachen Performance des verarbeitenden Gewerbes, während es in den USA eher auf das weit überdurchschnittliche Wachstum der Dienstleistungen zurückzuführen ist.

Das Wachstum der Wirtschaft in Deutschland war also nach der Finanzkrise zu einem beträchtlichen Teil auf die stark gestiegene Nachfrage nach Gütern der deutschen Industrieunternehmen zurückzuführen. Ein weiterer Umbruch hin zu einer noch stärkeren Dienstleistungsgesellschaft hat sich in Deutschland somit nicht vollzogen. Dagegen gewannen in Japan und insbesondere in den Vereinigten Staaten die Dienstleistungen merklich an Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung.
Der Erfolg der deutschen Industrieunternehmen ist auch darauf hinauszuführen, dass sie bereits relativ früh die billige Massenproduktion in kostengünstigere Schwellenländer verlagert haben. Stattdessen konzentrierten sie sich auf wertschöpfungsintensive Güter und innovative Produkte. Damit vermied die deutsche Industrie den direkten Wettbewerb mit kostengünstigeren Produktionsstandorten und konnte so ihre Position am Weltmarkt zumindest halten, wenn nicht sogar festigen. Sollte der Erfolg der deutschen Industrie auf den Weltmärkten aber in Zukunft einmal spürbar nachlassen, würde die deutsche Wirtschaft noch vor einem kräftigen Umbau stehen, den andere Industrienationen schon bewältigt haben.


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