Theresa May bleibt standhaft und zieht es durch

Die Ankündigung der gestrigen Pressekonferenz hatte, vorhersehbarerweise, Spekulationen über einen möglichen Rücktritt Theresa Mays ausgelöst. Und wer könnte es ihr verdenken? Selbst in einer Amtszeit, die von Anfang an von Problemen geplagt war, dürfte der gestrige Tag unter die Top-5 der Tiefpunkte fallen. Nach den Rücktritten mehrerer Kabinettsmitglieder und einiger Staatssekretäre am Vormittag, musste sich May geschlagene drei Stunden den Fragen der Parlamentarier stellen. Das Urteil über den von ihr verhandelten Vertrag mit Brüssel fiel dabei durch die Bank weg vernichtend aus. Größter Stein des Anstoßes ist nach wie vor der Backstop, den viele Mitglieder des Parlaments als Hintertür in Richtung einer dauerhaften Zollunion Großbritanniens mit der EU betrachten. Gleichzeitig wächst nicht nur auf Seiten der nordirischen DUP der Unmut darüber, dass Nordirland, welches weiterhin als Teil des Binnenmarktes behandelt werden soll, einen Sonderstatus innerhalb des Vereinigten Königreiches erhalten könnte. Manch einer sieht hierin bereits das Ende der Union gefährdet. Auf der anderen Seite der Debatte fanden sich all diejenigen wieder, die die Rettung aus der aktuellen Krise in einem zweiten Referendum sehen. Immer wieder sah May sich gezwungen ihren Standpunkt diesbezüglich zu erklären: das Parlament hat dem Referendum mit überwältigender Mehrheit zugestimmt, das Volk hat gewählt, nun ist es an der Regierung zu liefern. Als wäre all dies nicht bereits genug für einen Tag, nutzte Jacob Rees-Jogg die langwierige Debatte, um im Hinterzimmer ein Treffen unter gleichgesinnten Hardlinern abzuhalten, an dessen Ende mehrere Konservative MPs ihre Misstrauen gegenüber May offiziell an den Chairman des 1922 Komitees übersandten. Ob die notwendigen 48 Briefe, die es bedarf um im Extremfall die Neuwahl einer Parteiführung herbeizuführen, zusammenkommen, ist derzeit jedoch fraglich.

Unter den gegebenen Umständen hätte man es der Premierministerin also sicherlich nicht verübeln können, hätte sie am Abend ihren Rücktritt angekündigt. Doch zum wiederholten Mal beweist May ihr Stehvermögen. Anstatt klein beizugeben, gab sie sich kämpferisch und erteilte Spekulationen (Hoffnungen?) auf einen freiwilligen Abgang eine klare Absage. Auch ihre Nachricht an das Parlament war mehr als deutlich: während es ihre Aufgabe sei, den bestmöglichen Deal mit der EU zu verhandeln, sei es Aufgabe des Parlamentes im der Abstimmung über den Vertrag im „Interesse des Volkes" zu handeln. Eine klare Spitze in Richtung jener, die derzeit mehr mit Parteipolitik als mit dem eigentlichen Job beschäftigt sind. Die Taktik Mays ist clever. Denn so sehr sich einige Mitglieder des Parlaments gestern auch echauffierten, konnte doch keiner von ihnen einen konstruktiven Alternativvorschlag vorlegen, der das Dilemma der Irischen Grenze lösen würde. Gelingt es nicht, May in den kommenden Tagen aus dem Amt zu heben, wird das Parlament spätestens Mitte Dezember eine Wahl treffen müssen: ein Deal der, wenngleich sicherlich nicht ohne Makel, zumindest einen geordneten Austritt verspricht und den Briten zwei Jahre Zeit kauft um die künftige Ausgestaltung der Handelsbeziehungen mit der EU zu klären; oder ein chaotischer, ungeordneter Austritt mit umkalkulierbaren Konsequenzen. Sicherlich nicht ohne Hintergedanken erinnerte May die MPs am gestrigen Abend dann auch wiederholt daran, dass sie im Wohle ihrer Wähler handeln müssten. Sollten sie es auf einen No-Deal Breit ankommen lassen, so die unterschwellige Botschaft, würden sich die Volksvertreter sich auch vor ihren Wählern rechtfertigen müssen.

Wie geht es nun also weiter? Zunächst wird sich zeigen müssen, ob es Jacob Rees-Mogg gelingt seine Unterstützer zu mobilisieren und die notwendigen 48 Brief zusammenzubekommen. Gelingt dies, kommt es zunächst zu einer Abstimmung innerhalb der Konservativen Fraktion. Schafft es May eine einfache Mehrheit (158 Stimmen) zu erlangen, wäre sie zumindest für die kommenden 12 Monate sicher. Verliert sie die Abstimmung, müsste eine Neuwahl der Parteispitze angesetzt werden, in der zweimal pro Woche der jeweils unpopulärste Kandidat aus dem Rennen genommen wird, bis nur noch zwei Kandidaten übrig bleiben. Die finale Entscheidung liegt dann bei der Parteibasis. Wie lange dieser Prozess dauert, hängt von der Anzahl der Kandidaten ab. Gelingt es nicht, May durch einen parteiinternen Coup zu stürzen, wäre der einzig verbleibende Weg May zu entmachten ein Misstrauensvotum im Parlament - für das es dann allerdings einer 2/3-Mehrheit der Stimmen bedürfte. Sollte May ein solches Votum verlieren, hätten die Parteien 14 Tage Zeit um eine neue Regierung zu bilden. Scheitern sie, müssten Neuwahlen angesetzt werden. Ausschließen kann man angesichts der aktuellen chaotischen Verhältnisse in Westminster sicherlich keine dieser Optionen, klar ist jedoch auch, dass weiter Verzögerungen den Ratifizierungszeitplan in Frage stellen werden. Der britischen Regierung würde im Notfall eine andere Möglichkeit bleiben, als die EU um einen Aufschub zu bitten. Ob diesem Wunsch stattgegeben würde, steht auf einem anderen Blatt.

Bislang ist es Theresa May immer gelungen sich zu halten - aller Widrigkeiten zum Trotz. Schafft sie es auch dieses Mal, wird sie ihr Parlament im Dezember vor die Wahl stellen: mein Deal oder kein Deal. Ihr Kalkül dabei an die Verantwortung der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern zu appellieren, könnte sogar aufgehen.


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