Brexit-Verhandlungen: Druck auf May wächst
Der EU-Gipfel im Oktober, der laut dem ursprünglichen Zeitplan den großen Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen bringen sollte, endet zwar erst am heutigen Nachmittag, aber bereits gestern Abend wurde klar, dass sich Hoffnungen auf signifikante Fortschritte zerschlagen würden. Theresa Mays 15-minütige Ansprache brachte keine neuen Erkenntnisse; stattdessen rief die Premierministerin die EU auf, kreative und innovative Ideen zu liefern. Was vor einigen Monaten oder sogar Wochen vielleicht noch als Verhandlungspoker hätte durchgehen können, ist nun bitterer Ernst. Die Zeit rennt davon, und nach wie vor ist eine konstruktive Lösung des Irland-Problems nicht in Sicht. Zankapfel bleibt die sogenannte „backstop solution“: sollten die Briten keiner Zollunion mit der EU zustimmen und keine andere „technische“ Lösung gefunden werden, würde die EU Nordirland weiterhin als Teil des Binnenmarktes behandeln. Der damit unweigerlich einhergehende Sonderstatus Nordirlands ist aber weder für die britische Regierung noch für die nordirische DUP akzeptabel. Mays jüngster Vorstoß, die Briten zumindest auf absehbare Zeit in einer Zollunion an die EU zu binden, wurde zuhause jedoch ebenfalls scharf kritisiert. In einem erneuten Versuch einen Kompromiss zu finden, steht nun der Vorschlag im Raum, die Übergangsphase bis Ende 2021 zu verlängern. Zwar würde dies das irische Grenzproblem nicht lösen, es würde den Unterhändlern aber mehr Zeit geben, eine Einigung hinsichtlich der künftigen Handelsbeziehungen zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der „backstop“ aktiviert wird, wäre somit deutlich geringer. Die Brexit-Hardliner werden dem jedoch kaum zustimmen, wächst doch aus ihrer Sicht mit jeder weiteren Verzögerung das Risiko, dass Großbritannien bis in alle Ewigkeit an die EU gebunden bleibt.
Die Situation ist am heutigen morgen also verfahrener als je zuvor. Zwar glauben wir weiterhin, dass auf beiden Seiten der politische Wille, eine Einigung zu finden, überwiegt. Das Risiko, dass die Verhandlungen scheitern, ist in den vergangenen Wochen jedoch eindeutig gestiegen. Die EU kann den Briten nicht zu weit entgegenkommen, ohne die eigene Glaubwürdigkeit zu riskieren. May sind aufgrund der tiefen Spaltung ihres Kabinetts und des Parlaments ebenfalls die Hände gebunden. Trotzt dieser scheinbar ausweglosen Lage, kann sich das britische Pfund weiterhin erstaunlich gut behaupten. Weiterhin setzen viele Marktakteure offensichtlich auf einen glimpflichen Ausgang. Dass die Angst vor einem Scheitern der Verhandlungen wächst, ist allerdings an der Entwicklung der Risk-Reversals zu erkennen: hier haben sich die Wetten auf eine Abwertung des Pfundes deutlich gemehrt. Eine derart skeptische Ausprägung war zuletzt im direkten Nachgang zum EU-Referendum zu beobachten.