Türkei: In der Wahrnehmungsfalle
Ein speziell für die Türkei enorm wichtiges Fundament hat tiefe Risse bekommen: Das Vertrauen der internationalen Märkte. Der erhebliche externe Finanzbedarf des Landes – beispielsweise zur Finanzierung des chronischen Leistungsbilanzdefizits – erfordert regelmäßig den Rückgriff auf den globalen Kapitalmarkt. Sollte sich die Wahrnehmung der Märkte in Bezug auf die Türkei eintrüben, wird diese Fremdfinanzierung schwieriger oder zumindest kostspieliger. Dabei ist die Liste der Faktoren, welche die Risikowahrnehmung belastet haben, lang: Der Umbau des Landes hin zu einem System mit hoher präsidialer Machtfülle, die Aussagen von Präsident Erdogan, die Geldpolitik nun stärker mitgestalten zu wollen sowie die Ablösung erfahrener und angesehener Wirtschaftspolitiker sind Beispiele. Eine Reihe außenpolitischer Konfrontationen war auch nicht hilfreich. Der jüngste Streit mit Washington ist vielleicht der eine Konflikt zu viel – zumal im Weißen Haus auch nicht mit diplomatischem Florett gefochten wird.
Welche Auswege gibt es? Es bleibt der Eindruck, dass Ankara mindestens eine bittere Pille schlucken muss, um die Lage zu beruhigen. Die bitterste Pille wäre vermutlich der Gang zum IWF, so wie es Argentinien praktiziert hat. Ein umfangreiches Beistandsabkommen mit dem Währungsfonds dürfte den Markt wohl beruhigen, da es die externe Position verbessern würde und derartige Programme mit entsprechenden wirtschaftspolitischen Auflagen verbunden sind. Erstens wird sich Ankara aber vehement gegen derartige Einmischungen zu wehren versuchen. Zweitens dürfte ein solches IWF-Abkommen nicht einfach auszuhandeln sein. Das Wort der USA hat hohes Gewicht beim IWF und die aktuelle diplomatische Krise zwischen Ankara und Washington ist da wenig hilfreich. Hier bliebe die zweite Pille: Vermutlich muss die Türkei eine Lösung in der Konfrontation mit den USA herbeiführen – denn es scheint so, als säßen die Vereinigten Staaten am längeren Hebel. Die dritte Pille ist vermutlich diejenige, die für Erdogan am ehesten zu verdauen wäre: Ein sehr klares Bekenntnis zur Unabhängigkeit der Notenbank verbunden mit freier Hand für die CBRT in der Zinsgestaltung dürfte eine Mindestzutat zur Lösung der Krise sein. Immerhin hat die Notenbank erste Schritte angekündigt, um die Liquidität im türkischen Bankensystem zu erhöhen. Die vielfach als notwendig erachtete deutliche Zinsanhebung blieb jedoch noch aus und so ist abzuwarten, inwieweit die Maßnahmen die TRY nachhaltig stabilisieren.
Inwieweit die oben beschriebene „Medizin“ in Einzeldosierung oder nur als Kombipackung hilfreich ist, wird wohl davon abhängen, wann mit der Therapie begonnen wird. Generell hat die Türkei eine gewisse Krisenerfahrung und oft auch den nötigen Schuss Pragmatik in kritischen Lagen bewiesen. Zudem ist das Land außenpolitisch nicht so irrelevant, als dass Washington die Lage komplett ignorieren könnte. Dennoch bleibt die Gefahr, dass Ankara insgesamt zu zaghaft agiert und damit die Probleme nur verschleppt aber nicht kuriert.