Wall Street: Rekordhoch vor dem Fall

Ob S&P 500, Nasdaq Composite, Nasdaq 100 oder Russell 2000: Etliche wichtige US-Börsenbarometer notieren nur wenige Punkte unter ihren Rekordhochs. Es wird wohl nur noch wenige Tage dauern, bis die alten Rekordmarken eingestellt werden. Lediglich der Dinosaurier-Index Dow Jones, welcher auf einem veralteten Indexkonzept (Mittelung der Aktienkurse der 30 Mitglieder!) basiert, notiert deutlicher unter seinem Rekordhoch, gut vier Prozent fehlen noch.

Auch die Kursvolatilität amerikanischer Aktien ist, gemessen am VIX Index, zuletzt deutlich gesunken. Mit einem Stand von 10,6 Punkten erreichte das weltweit bekannteste Barometer für Kursschwankungen am Aktienmarkt jüngst den tiefsten Stand seit Januar 2018.
Für viele Anleger sind dies überraschende Nachrichten, schließlich deuten die globalen Rahmenbedingungen doch auf eine Verschlechterung der Lage für die Aktienmärkte an. Die Geldpolitik wird zunehmend restriktiver, das Konjunkturmomentum nimmt außerhalb der USA und Asiens ab und die Gefahr eines Handelskrieges drückt die Stimmung.
Warum steigen also die Kurse der US-Unternehmen? – Tatsächlich scheint ein Großteil genannter Belastungsfaktoren in den Aktienkursen eingepreist zu sein. Zwar werden die Kapitalmarktzinsen in den kommenden Jahren anziehen, mit einem Zinsschock in Form stark steigender Renditen rechnen wir jedoch nicht. Dies gilt auch für die konjunkturelle Entwicklung – die Zeichen stehen trotz des zunehmenden Protektionismus unverändert auf Wachstum, wie der Blick auf die globalen Einkaufsmanagerindizes bestätigt.

Aktuell glänzen die US-Unternehmen auch noch dank vorteilhafter Effekte durch die Steuerreform. Durchschnittlich stiegen die Nettogewinne der S&P 500-Unternehmen im zweiten Quartal um 25%. Dies ist der größte Zuwachs seit dem Jahr 2010, unmittelbar nach der volkswirtschaftlichen Rezession in den USA. Der vorteilhafte Gewinnschub dank niedrigerer Steuern wird sich nicht dauerhaft wiederholen, so dass sich Anleger bald wieder auf geringere Zuwachsraten vorbereiten sollten. Allerdings zeigt der Blick auf das Umsatzwachstum der Unternehmen, welches nicht durch die Steuerreform beeinflusst wurde, im zweiten Quartal ein sehr gutes Wachstum von zehn Prozent – die starke US-Konjunktur trägt also den Aufschwung an den heimischen Aktienmärkten.

Unsicherheitsfaktor Nummer Eins bleibt für die US-Märkte eine Ausweitung der Zölle zwischen den USA und China, inklusive der indirekten Folgen, u.a. importierter Inflation. Dies gilt insbesondere für die Agrar-, Industrie- und Automobiltitel, die in den vergangenen Jahren dank der Globalisierung der Lieferketten und rückläufiger Zinsen ihre Gewinnmargen ausweiten konnten. Diese könnten in absehbarer Zeit etwas sinken.

In Bezug auf den US-Aktienmarkt gilt es jedoch auch zu berücksichtigen, dass der Aufschwung an den Börsen maßgeblich durch wenige Unternehmen aus Schlüsselsektoren wie Technologie, Banken und dem Energiesektor getragen wird. Diese Titel dürften weitestgehend immun sein gegen steigende Kapitalmarktrenditen und zunehmende Handelsbarrieren, so dass der US-Aktienmarkt von einem Kollaps weit entfernt sein sollte.

Die Partystimmung am US-Aktienmarkt wird sich wohl noch einige Zeit fortsetzen und könnte auch die Börsen in Europa wieder stärker mitziehen. Zu einem Abschwung wird es wohl erst kommen, wenn die amerikanische Konjunktur einen Dämpfer erleidet.


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