Politische Spannungen lassen Lira weiter einbrechen
Das Währungspaar Dollar-Lira ist gestern Abend erstmals überhaupt über die Marke von 5,00 TRY geklettert – Tendenz heute Morgen weiter steigend. Auch gegenüber der europäischen Gemeinschaftswährung verzeichnet die Lira aktuell neue Rekordtiefs. Seit Jahresbeginn hat die Landeswährung über 22% gegenüber dem Euro verloren, verglichen mit dem Greenback waren es sogar fast 25%. Unter den nennenswerten Währungen weltweit schnitt nur der argentinische Peso schlechter ab.
Zentral für die Schwäche der Landeswährung ist zwar weiterhin der Mangel an Entschlossenheit auf Seiten der türkischen Zentralbank und die damit einhergehenden, berechtigten Zweifel an der politischen Unabhängigkeit der Währungshüter. Ausschlaggebend für den jüngsten Kurseinbruch war jedoch die Eskalation der zwischen der Türkei und den USA vorherrschenden diplomatischen Differenzen. Die US-Administration fordert die sofortige Freilassung des seit Monaten festgehaltenen US-Pastors Brunson und hat gestern Sanktionen gegen zwei türkische Minister erlassen, die bei dessen Festsetzung eine führende Rolle gespielt haben sollen. Die Türkei hat die US-Strafmaßnahmen als „aggressiven" Akt bezeichnet und Gegenmaßnahmen angedroht. Zudem hebt die türkische Führung immer wieder die Unabhängigkeit der eigenen Justiz hervor und verbittet sich eine Einmischung in interne Angelegenheiten. Dass Präsident Erdogan vor einiger Zeit einen Austausch Brunsons gegen den in den USA lebenden Predigers Gülen ins Spiel brachte, scheint für die türkische Führung hierbei keinen Widerspruch darzustellen.
Die tatsächlichen Folgen der erlassenen US-Sanktionen gegen die Minister halten sich für die türkische Wirtschaft bislang sicherlich in Grenzen. Das sich in den USA befindende Vermögen der beiden Regierungsmitglieder wird eingefroren, und US-Unternehmen ist es untersagt, Geschäfte mit den Betroffenen zu machen. Nachvollziehbar ist die Reaktion am Devisenmarkt dennoch. Schließlich scheint keine der beiden Seiten bereit, einen Kompromiss einzugehen. Weitere Sanktionen könnten demnach folgen. Problematisch für die Türkei wären insbesondere Maßnahmen, die den Zugang zu den internationalen Finanzmärkten einschränken, ist das Land doch aufgrund eines strukturellen Leistungsbilanzdefizits auf ausländische Kapitalgeber angewiesen. Zudem ist die bestehende Auslandsverschuldung zu einem wesentlichen Teil kurzfristig finanziert und damit anfällig für einen raschen Abzug des Kapitals. Sollte dieser Fall eintreten, muss es nicht bei einer „einfachen", weiteren Lira-Abwertung bleiben. Vielmehr würde das Risiko einer Zahlungsbilanzkrise zunehmen, sodass Kapitalverkehrskontrollen vonseiten der Türkei und weitreichendere Ausfälle von Engagements am Bosporus nicht mehr auszuschließen wären.