Das Risiko einer Italien-Pleite – ein Szenario
Italiens politische Krise hat die Finanzmärkte mit voller Wucht getroffen. Die Ausschläge bei den Renditen italienischer Staatsanleihen haben längst Niveaus wie zu den Hochzeiten der Staatenfinanzkrise erreicht. Allerdings ist die Solvenz des italienischen Staates weniger durch überschießende Renditen gefährdet. Angesichts einer Duration von fast sieben Jahren fallen steigende Refinanzierungskosten erst langfristig nennenswert ins Gewicht.
Weitaus problematischer wäre es, wenn sich Italiens Liquiditätslage rapide verschlechtern würde. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn die anstehenden Auktionen italienischer Staatsanleihen nicht den gewünschten Erfolg brächten und die Käufer trotz hoher Renditen in den Streik treten würden. Das gesamte Refinanzierungsvolumen auslaufender Bonds des italienischen Staates beläuft sich bis Ende 2018 auf 136,2 Mrd. Euro. Italien dürfte ohne Marktzugang kaum in der Lage sein, diesen Finanzaufwand aus eigener Kraft zu stemmen.
Tritt dieses Szenario ein, könnte Rom rasch an den Punkt gelangen, die E(W)U um finanzielle Hilfe bitten zu müssen. Der ESM in Verbindung mit der EZB könnten eine sich verschärfende Krise womöglich auffangen, die Kosten und Risiken für die gesamte Währungsgemeinschaft wären aber immens und setzen den unbedingten Willen Roms und Brüssels voraus, die Krise in den Griff zu bekommen. Angesichts der politischen Differenzen wäre es fraglich, ob Italien vor dem Hintergrund der neuen Mehrheitsverhältnisse um finanzielle Hilfe bitten und die Einzelstaaten diese auch gewähren würden – ESM-Hilfen bedürfen auch der Zustimmung des Bundestages.
Ohne Zugang zu den Finanzmärkten oder finanzieller Hilfe könnte Italien auf absehbare Zeit die Pleite drohen, die auch die Zahlungsfähigkeit etlicher italienischer Banken nach sich zöge. Ohne Hilfe von außen dürfte Italien unter diesen Umständen gezwungen sein, auch die EU oder zumindest die Eurozone zu verlassen.
Die Folgen für Italien und den Rest der Eurozone wären kaum abschätzbar. Italien drohte ein abrupter Stillstand des Finanzsystems und außerdem eine verheerende Rezession, die auch auf den Rest der Eurozone ausstrahlen würde. Neben den konjunkturellen Folgen hätten die Anleihegläubiger im Ausland durch einen Zahlungsausfall des Staates Verluste von mehr als 700 Mrd. Euro zu befürchten. Besonders hart dürfte es auch die Banken der Eurozone treffen. Ihr Gesamtengagement in Italien, was Anleihen und Kredite aller italienischen Schuldner einschließt, beläuft sich auf 513 Mrd. Euro, französische Banken (310,8 Mrd. Euro) und deutsche Banken (90,5 Mrd. Euro) tragen wiederum den Löwenanteil.
Die Staatshaushalte der EWU-Staaten würden durch einen Italexit ebenfalls massiv leiden. Die maximalen Verlustrisiken für die Deutsche Bundesbank, die letztlich den Steuerzahler träfen, liegen bei etwa 144 Mrd. Euro. Hinzu kämen konjunkturbedingte Steuerausfälle, höhere Ausgaben der Sozialversicherungsträger und eventuelle zusätzliche Zahlungen an den ESM, der voraussichtlich etliche der in Italien stark engagierten Banken im Rest der EWU vor dem Kollaps bewahren müsste. Die Schuldenstandsquoten drohten in einigen Staaten neue Rekordstände zu erreichen. Der Fortbestand der gesamten Eurozone könnte sowohl von der politischen Entschlossenheit der restlichen Mitgliedsstaaten als auch dem beherzten Eingreifen der EZB abhängen.
Angesichts der Risiken eines äußerst düsteren Szenarios einer Pleite Italiens sowie der sich anschließenden Folgen für die gesamte EWU sollten, zumindest rational betrachtet, sowohl Italien als auch der Rest der Eurozone alles daransetzen, eine solche Entwicklung zu verhindern. Zwar wird Italien seine Forderungen auf europäischer Ebene nicht annähernd voll durchsetzen können, jedoch dürften auch Frankreich und Deutschland Entgegenkommen signalisieren. Anders als im Fall von Griechenland hat Italien angesichts dessen, was für alle Seiten auf dem Spiel steht, eine sehr viel stärkere Verhandlungsposition. Die EWU-Staaten dürften daher ihrerseits ein finanzielles Entgegenkommen signalisieren. Dies könnte beispielsweise sowohl niedrigere Beitragszahlungen Italiens zur EU, ein größeres Volumen geförderter Investitionen aber auch eine gemeinsame Einlagensicherung der Banken umfassen. Der Weg in eine Transferunion wäre damit geebnet. Zwar würden so zumindest kurzfristig die Risse im Euro-Gebilde gekittet werden, ohne politische Gegenwehr in Kerneuropa bliebe ein solcher Schritt wohl aber nicht. Der Rechtspopulismus dürfte zusätzlichen Auftrieb erfahren und die langfristigen Risiken einer Spaltung der Gemeinschaft könnten sogar forciert werden.