Merkel steht europapolitisch zwischen den Stühlen
Bundeskanzlerin Merkel hat ihr Schweigen nun doch gebrochen und ihre Reformversion für die Zukunftsfestigkeit der Eurozone vorgestellt. Sie hat lange gezögert und gezaudert – wollen sich doch die Regierungschefs der Währungsgemeinschaft bereits Ende dieses Monats treffen, um über eine neue Architektur des Euro zu verhandeln. Ihren Stempel wird Merkel der Debatte nicht mehr aufdrucken können, hatte doch schon Präsident Macron vor Monaten bereits für seine Vorstellungen eines solidarischen Europas mit vertiefter finanzieller Gemeinschaft werben können. Merkel steht zwischen den Stühlen – sie muss zwischen innenpolitischen Stimmungen und europapolitischen Erwägungen eine Balance finden. Auf der einen Seite darf sie zu Hause sowohl ihren Koalitionspartner als auch die eigenen Reihen der Union nicht verprellen. Vor allem mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen im Herbst dieses Jahres wird die CSU auf einen harten Kurs gegenüber den, ihrer Einschätzung nach, fiskalisch verantwortungslos handelnden Peripherieländer pochen. Auf der anderen Seite versucht Merkel ihren europäischen Bündnispartnern gerecht zu werden. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in Italien dürfte sie die Gelegenheit nutzen wollen, der neuen Regierung in Rom Entgegenkommen zu signalisieren, um gleichzeitig deren populistischen Forderungen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Vor dem Hintergrund durfte auch kein großer, kreativer Wurf der Bundeskanzlerin in Sachen Euro-Reform erwartet werden. Stattdessen verfolgt sie eine Strategie des kleinsten gemeinsamen Nenners und beschränkt sich darauf, ein paar von Macrons Vorschlägen aufzugreifen und aufzuweichen. So soll es einen EWU-Investitionshaushalt im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich geben, mit dem die Innovationsfähigkeit der Euroländer gestärkt und die wirtschaftliche Heterogenität in der Währungsunion bekämpft würde. Weiterhin soll der ESM in einen Europäischen Währungsfonds umgewandelt werden – doch Kredite gibt es nur gegen Auflagen und dem Bundestag ist weiterhin ein Vetorecht vorbehalten.
Wie erwartet, positioniert sich die Bundesregierung für einen Kompromiss, der letztlich allen gerecht werden soll, nur der Zukunftsfestigkeit der Eurozone nicht. Auch Merkels jüngste Agenda steht für Schaffung politisch abhängiger Institutionen, die nicht geeignet sein dürften, die bekannten Probleme der Eurozone zu beseitigen – sprich die große wirtschaftliche Divergenz zwischen den Euroländern sowie die bestehenden Fehlanreize zum verantwortungslosen Haushalten. Gegenwärtig ist zumindest nicht vorstellbar, wie die bisherigen Reformvorschläge aus Berlin, Paris und Brüssel potenzielle Krisen, zum Beispiel das derzeit drohende Italiendilemma, verhindern beziehungsweise abwenden können, ohne die Zukunft des Euro zu gefährden.