Italien: Römisches Theater

Alle Versuche einer Regierungsbildung zwischen den politischen Parteien in Italien sind gescheitert. Gestern Abend hat der italienische Staatspräsident Mattarella dann entschieden, noch diese Woche eine "neutrale" Expertenregierung aufstellen zu wollen. Diese erneute Übergangslösung soll, solange sich die Parlamentsfraktionen auf kein Koalitionsbündnis einigen können, bis Ende dieses Jahres die Regierungsgeschäfte führen und vor allem das Haushaltsbudget 2019 verabschieden – so Mattarellas Plan.

Eine neue Regierung – wer diese genau führen soll, ist noch unklar – müsste sich binnen zehn Tagen nach Ernennung durch den Staatspräsidenten einer Vertrauensfrage im Parlament stellen. Sowohl die Lega als auch die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) haben beide aber bereits erklärt, einer solchen Regierung nicht das Vertrauen aussprechen zu wollen. Im Gegenzug fordern sie Neuwahlen bereits im Juli. Hintergrund des Wunsches baldiger Neuwahlen sind wahrscheinlich die aktuellen Wahlumfragen. Danach würden M5S und die Lega gegenüber der letzten Wahl nochmals zulegen können - die M5S käme auf etwa 33%, die Lega auf rund 22% der Stimmen. Erhielte die Expertenregierung nicht das Vertrauen des Parlaments, bleibt sie aber geschäftsführend im Amt. Erst wenn der Staatspräsident das Parlament auflöste, müsste innerhalb von 70 Tagen neu gewählt werden. Als Bedingung für Neuwahlen hat Matarella aber bereits die Verabschiedung eines Haushaltes für 2019 formuliert. Darüber hinaus gibt es auch Überlegungen, dass Italien erst ein neues Wahlgesetz erhalten müsse, was klarere Mehrheiten im Parlament ermöglichen solle.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament und der unterschiedlichen Interessenlage der in den Umfragen führenden Parteien sowie des Staatspräsidenten droht sich die verfahrene Lage weiter hinzuziehen oder sogar zuzuspitzen.
Aus Marktsicht bedeuten die neusten Entwicklungen eine weiter anhaltende Unsicherheit, was Anleger grundsätzlich nicht schätzen. Die unter den gegebenen Umständen günstigste Lösung läge darin, wenn eine anerkannte Expertenregierung möglichst lange im Amt bliebe. Dies würde zum einen die politische Unsicherheit zumindest übergangsweise reduzieren, zum anderen könnte dies verhindern, dass eine weniger berechenbare Regierung populistischer Kräfte die Amtsgeschäfte führte. Außerdem bliebe mehr Zeit, das Wahlgesetz zu ändern, um das Risiko einer erneuten Hängepartie zu reduzieren. Umgekehrt wären baldige Neuwahlen unter den Gegebenheiten des jetzigen Wahlgesetzes die aus Marktsicht schlechteste Option. Im Hinblick auf die Umfragen drohten die radikalen Kräfte weiter gestärkt zu werden. Die Wahrscheinlichkeit einer populistischen Regierung ohne Beteiligung moderater Kräfte wäre nochmals höher. Gleichzeitig könnten die Gespräche zwischen M5S und Lega aber erneut scheitern, was Italien spätestens dann an den Rand der Unregierbarkeit bringen würde.

Ein Kompromiss zwischen Matarella und M5S und Lega könnte derart gestaltet sein, dass im Herbst ein neues Parlament gewählt werden würde und beide Parteien zumindest bei der Haushaltsplanung zusammenarbeiten. Die Zeit dürfte aber nicht reichen, bis dahin ein neues Wahlgesetz zu verabschieden. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Interessenlagen und die Erfahrungen der Vergangenheit würde sich der Prozess einer Wahlrechtsreform voraussichtlich ohnehin langwierig und schwierig gestalten. Aus Investorensicht überwiegen damit weiterhin die Unsicherheitsfaktoren sowie die möglichen negativen Verlaufspfade.


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