Rohöl auf höchstem Stand seit 2014 - Ein „letztes Hurra“ des Rohölpreises gewinnt an Wahrscheinlichkeit

Die Rohölnachfrage brummt, der Preis steigt. Die von den Investoren fokussierten OECD-Industrielagerbestände fallen als Folge der Anfang 2017 begonnenen „Produktionsbegrenzungsarbeiten“ von 14 OPEC- und zehn NOPEC-Staaten – nach anfänglicher Stagnationsphase – nun immer weiter. Saudi-Arabien und der Iran zanken sich mit zunehmend aggressiver Rhetorik wieder einmal an mehreren Fronten um die regionale Vorherrschaft im Nahen Osten. Die USA überlegen das Atomabkommen mit dem Iran in Bälde zu verlassen, wenn für den laut Präsident Trump „schlechtesten Deal aller Zeiten“ nicht bis zum 12. Mai eine Nachbesserungs-Agenda installiert wird. Und die vorgenannte OPEC/NOPEC-Koalition denkt trotz baldiger Erreichung des selbst gewählten Lagerbestandsnormalisierungsziels sehr laut über die Verlängerung ihrer Marktsteuerungs-Zusammenarbeit nach. Angesichts dieses prall gefüllten Bündels an „Bullen-Meldungen“ ist es doch nur allzu verständlich, dass der Brent-Rohölpreis in den vergangenen neun Monaten nahezu ungebremst von 45 auf 75 USD angestiegen ist und sich nach Meinung einiger Marktteilnehmer nun anschickt, in Bälde auch die 80-, 90- und 100-USD-Marken zu knacken.

Diese Ansicht könnte man glatt teilen, wenn es nicht auch gewichtige Gegenargumente gäbe, die es unseres Erachtens nahelegen, dass der Rohöl-Höhenflug in den kommenden Wochen enden wird und der Preis sich dann wieder in den fundamental gerechtfertigten Gefilden von 60-70 USD zurechtfinden muss. Der leicht abschüssige Weg dorthin könnte allerdings noch durch ein „letztes Hurra“ des Rohölpreises im zeitlichen Dunstkreis des erwarteten US-Entscheidungstermins hinsichtlich des Verbleibs im oder des Ausscherens aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran enthalten.

Erstens brummt die Nachfrage zwar objektiv, aber nicht in dem exorbitanten Maße, wie es die Rohöl-Optimisten derzeit gerne propagieren. Zweitens haben die Förderbegrenzungsmaßnahmen der OPEC/NOPEC-24 tatsächlich dazu geführt, dass die OECD-Industrielagerbestände bis auf Flüsterweite an die vordefinierte Ziellinie des Fünfjahresdurchschnittswertes herangerückt sind. Zur Lagerbestandswahrheit gehört aber auch, dass (a) das Normalisierungsziel nicht wie ursprünglich intendiert nach sechs, sondern erst nach 18 Monaten erreicht wird, (b) die Zielerreichung ohne das ausufernde Politik-, Wirtschafts-und Rohölförderchaos in Venezuela so nicht stattgefunden hätte und (c) das anvisierte Normalisierungsziel zum einen von vornherein nur mäßig ambitioniert und zum anderen (konstruktionsbedingt) im Zeitverlauf immer leichter zu erreichen war. Drittens haben geopolitische bedingte Preiserhöhungen in aller Regel recht kurze Beine, wenn es nicht zu gravierenden Produktionsausfällen kommt. Diesbezüglich ist der „venezolanische Fall“ in der Terminkurve vollständig enthalten und auch für den – zugegebenermaßen nicht unwahrscheinlichen – Fall eines Ausscherens der USA aus dem Atom-Deal mit dem Iran hat der Markt bereits eine großzügige Ex-ante-Risikoprämie im vorderen Terminkurvenabschnitt eskomptiert. In diesem Kontext ist es interessant, dass der Markt seine Aufmerksamkeit gegenwärtig ausschließlich auf geopolitisch bedingte Störungen der Angebotsseite – faktischer und theoretischer Natur – konzentriert, während (geo-)politische Störfeuer für die Nachfrageseite (Stichwort: „Handelskrieg“) zumindest aktuell keinerlei Beachtung erfahren. Viertens ist die diskutierte Ausdehnung der OPEC/NOPEC-Kooperation kein Vorbote einer nahenden Versorgungsknappheit auf dem Rohölmarkt, sondern lediglich die unvermeidliche Reaktion auf das dynamische Produktionswachstum insbesondere in den USA (und mit Abstrichen auch in Brasilien, Kanada und Teilen der „Nordsee“) in Zeiten sehr auskömmlicher Rohölpreise. Fünftens wird marktseitig unterschätzt, welche produktiven Wachstumskräfte in den US-amerikanischen Schieferölgebieten bei WTI-Preisen von >65 USD losgetreten werden.

Fazit: Im Ringen um die makroökonomische Hoheit auf dem Rohölmarkt haben die (preistreibenden) geopolitischen Sorgen derzeit die Oberhand über die (preisbelastenden) Ängste hinsichtlich eines drohenden Handelskrieges gewonnen. Die unseres Erachtens zu hohen Rohölpreise werden auf der Angebots- und Nachfrageseite aber nach und nach Anpassungsprozesse auslösen, die den Rohölpreis im Laufe des 2H 2018 wieder in die Region von 60-70 USD zurückführt. Ein „letztes Hurra“ des Rohölpreises im Dunstkreis der US-Entscheidung über das Atomabkommen mit dem Iran ist zuletzt allerdings wahrscheinlicher geworden.


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