Macron drängt, Deutschland bremst: E(W)U auf Reformsuche

Der französische Präsident Macron drängt nicht nur zu Hause mit Hartnäckigkeit auf Reformen, auch in Europa bildet er die Speerspitze der Erneuerer. In Straßburg hat er mit dem Europaparlament einmal mehr die große Bühne gewählt, um für seine Idee eines demokratischen, aber auch solidarischen und ökonomisch ein Stück weit staatsgelenkten Europas zu werben. Vor allem die europäischen Institutionen will der Sozialliberale stärken und sagt ein größeres finanzielles Engagement seines Landes zu - auch um die Folgen der Flüchtlingskrise, die die Gemeinschaft weiterhin vor eine Zerreißprobe stellt, zu bewältigen und autokratischen Tendenzen in Teilen Europas entgegenzuwirken. Die Eurozone soll ebenfalls sowohl institutionell durch die Überführung des ESM in einen europäischen Währungsfonds (EWF) und die Vollendung der Bankenunion als auch finanziell durch einen eigenen Haushalt gestärkt werden. Vor allem die Forderung nach mehr Geld für Brüssel als auch die Beschneidung nationaler Kompetenzen findet vor allem diesseits des Rheins nicht nur Zustimmung – nicht wenige fürchten den Einstieg in eine Transferunion.

Während Macron seit geraumer Zeit bereits für seine Ideen wirbt, befindet sich das politische Berlin nach Monaten des Schwebezustands noch in der Findungsphase. Die Meinungen innerhalb der großen Koalition liegen in der Europa-Frage noch weit auseinander. Während die SPD Macron überwiegend beipflichtet, regt sich in der Union Widerstand. Zwar haben CDU/CSU im Wahlkampf ausdrücklich die Idee eines europäischen Währungsfonds (EWF) unterstützt, bei der Ausgestaltung fürchtet man nun aber, dass ein solcher EWF weniger als Kontrollinstanz reformunwilliger Staaten agieren, sondern vielmehr als ein politisches Instrument zur finanziellen Unterstützung Südeuropas genutzt würde. Kritisch wird vor allem die Forderung betrachtet, den EWF der Kontrolle durch die nationalen Parlamente zu entziehen und einen europäischen Finanzminister mit eigener Budgetverantwortung zu versehen – aber auch bei der Vollendung der Bankenunion droht in jetziger Form deutschen Steuerzahlern ein höheres Risiko durch einen gemeinschaftlichen Einlagensicherungsfonds, so die Unionsparteien.

Und welche Haltung vertritt die Bundesregierung in Person der Kanzlerin? Bislang schweigt das offizielle Berlin. Merkel befindet sich offensichtlich in einer Zwickmühle. Einerseits dürfte klar sein, dass sich mit dem Brexit die Mehrheitsverhältnisse in der EU zugunsten der Länder, die für ein finanziell solidarisches Europa eintreten, verschoben haben. Außerdem hat sich Geld bereits in der Vergangenheit als wirksames europäisches Bindeglied erwiesen. Eine bessere finanzielle Ausstattung Europas könnte sowohl die unter den sozialen Folgen der Staatenfinanzkrise leidenden Südeuropäer als auch die zunehmend EU-kritischen Staaten Osteuropas besänftigen. Andererseits sind Ideen, die ein weiteres Aufblähen europäischer Institutionen zur Folge haben, sowohl bei den bürgerlichen Parteien als auch großen Teilen der deutschen Bevölkerung eher unbeliebt. Hinzu kommt, dass die CSU vor einer schwierigen Landtagswahl in Bayern im Oktober dieses Jahres steht und sie der AfD keine Steilvorlage liefern möchte.

Die Zeit drängt allerdings. Bereits auf dem EU-Gipfel im Juni sollen Ergebnisse feststehen, Mitte 2019 stehen Europawahlen an. Spätestens dann muss Klarheit herrschen, in welche Richtung die E(W)U steuern will. So dürfte es nicht überraschen, wenn Deutschland und Frankreich auf Basis von Macrons Vorschlägen verhandeln werden. Am Ende könnte ein Kompromiss stehen, der Deutschland ein größeres finanzielles Engagement abverlangt und mehr Kompetenzen für Europa vorsieht. Im Gegenzug dürfte Berlin auf strengere Kontrollmechanismen drängen – in der Hoffnung, dass diese besser greifen als die bisherigen.


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