Diskussion um neues Brexit-Referendum – eine zweite Chance?

Die Briten sind weiterhin auf der Suche nach einer einheitlichen, belastbaren Verhandlungsposition. Mehr als Floskeln, von wegen „fantasievoll und erfinderisch auf eine maßgeschneiderte Lösung hinarbeiten“ oder „CETA Plus Plus Plus“, sind nicht zu vernehmen. Darunter mischen sich Vorwürfe, wonach die Europäische Union doch bitte Vorschläge zum künftigen Verhältnis mit Großbritannien machen solle, und unverhohlene Kritik. Nach Ansicht des eigentlich als europafreundlich eingestuften Finanzministers Hammond ist die EU ein „schlecht geführter Club“ mit dem Hang zur Paranoia. Und um das britische Wirrwarr komplett zu machen, hat in den vergangenen Tagen auch noch die Diskussion über ein zweites Referendum über den EU-Austritt Fahrt aufgenommen.

Jüngster Auslöser waren Äußerungen von Nigel Farage, dem ehemaligen Chef der britischen Unabhängigkeitspartei UKIP und leidenschaftlichen Brexit-Befürworter. Seiner Einschätzung zufolge könne eine neue Volksbefragung sinnvoll sein, um dem Jammern, Heulen und Klagen EU-freundlicher Kräfte ein Ende zu bereiten und einen weichen Austritt aus der Union zu unterbinden. Farage geht davon aus, dass eine weitere Abstimmung noch deutlicher zugunsten eines Brexit ausgehen wird, als dies beim Referendum 2016 der Fall war. Seine politischen Gegner bezweifeln dies. Sie sehen ihre Chance gekommen, einen historischen Fehler rückgängig machen zu können. Schließlich hätten sich die Vorzeichen verändert. Mittlerweile sei sich die Bevölkerung darüber bewusst, wie kompliziert ein EU-Austritt tatsächlich ist und welche Auswirkungen damit einhergingen. Geht es nach den aktuellen Umfragen, ist unterdessen fraglich, ob eine weitere Volksbefragung ein anderes Ergebnis herbeiführen würde.

Noch wichtiger auf dem möglichen Weg zu einem zweiten Referendum ist die Tatsache, dass die konservative Minderheitsregierung um Premierministerin May derzeit nicht den Eindruck macht, Gefallen an einem weiteren Referendum zu finden. Und ohne deren Zustimmung dürften derartige Überlegungen nur Gedankenspiele bleiben. Das Hauptargument der Regierung: Es wäre eine Gefahr für die Demokratie, würde man den erklärten Willen des Volkes missachten.

Dass es tatsächlich die Liebe zur Demokratie ist, die May und ihre Partei von einer zweiten Abstimmung abhält, darf bezweifelt werden. Vielmehr dürfte für sie im Vordergrund stehen, dass sich der ohnehin knappe Zeitplan der Brexit-Gespräche weiter verzögern würde. Hinzu kommt, dass die Premierministerin aller Voraussicht nach eine Pro-Brexit-Kampagne führen müsste. Im aus ihrer Sicht besten Fall könnte sie demnach lediglich einen Erhalt des Status-quo erreichen. Im ungünstigen und keineswegs ausgeschlossenen Fall wären hingegen Neuwahlen die Folge und Theresa May wäre ihren Posten sicherlich los. Damit lässt sich festhalten: So sehr sich viele eine zweite Chance für das britische Volk wünschen, eine erneute Abstimmung über den EU-Austritt ist unter den gegebenen Voraussetzungen unwahrscheinlich.


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